A. Engels: Die geteilte Umwelt

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Title
Die geteilte Umwelt. Ungleichheit, Konflikt und ökologische Selbstgefährdung in der Weltgesellschaft. Mit einer Fallstudie zu Senegal


Author(s)
Engels, Anita
Series
Signaturen der Weltgesellschaft
Published
Weilerswist 2003: Velbrück Wissenschaft
Extent
260 S.
Price
EURO 35,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Frank Uekötter, Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT), Universität Bielefeld

Über den Treibhauseffekt ist, so will man meinen, längst alles gesagt. Für die Globalisierung gilt das erst recht. Wie man sich da irren kann, zeigt Anita Engels in ihrer Studie über die globale Klimadebatte. Engels nimmt den globalen Klimadiskurs aus einer ungewohnten Perspektive in den Blick, nämlich der des Afrikas südlich der Sahara. Durch die Wahl des Senegal als Fallbeispiel wirft Engels einen neuen, ungewohnten Blick auf altvertraute Debatten. Das Resultat wird nicht nur die Umweltsoziologie, an die sich Engels in erster Linie richtet, aufhorchen lassen.

Im Kern dieser Studie steht die Kontrastierung des westlichen Hegemonialdiskurses über den Treibhauseffekt mit lokalen Umweltdebatten in dem westafrikanischen Land. Die Klimadebatte kam als Import aus dem Westen in den Senegal, wobei vor allem die Rio-Konferenz als Motor der Adaption fungierte. Aber was aus westlicher Sicht zunächst wie ein willkommener Prozess der Problemwahrnehmung aussähe, wirkt aus lokaler Sicht ganz anders. Die Klimadebatte traf Wissenschaft und Gesellschaft des Senegal nämlich keineswegs in einem Stande der Unschuld an. Tatsächlich liefen bereits kontroverse Debatten über die Erosion der senegalesischen Küste und über das Management der lokalen Holzressourcen, beides Themen mit einem offenkundigen Bezug zur Klimadebatte. Detailliert skizziert Engels die lokalen Konflikte und zeichnet die entsprechenden Verwerfungen anhand sozialer, regionaler, ethnischer und geschlechtlicher Konfliktlinien nach. Damit zeigt sie zugleich, „dass die lokalen Umweltkrisen durch die Einbettung in einen globalen Umweltdiskurs aus ihrem gesellschaftlichen Kontext herausgetrennt werden.“ (S. 157) Die lokale Komplexität steht so in einem lehrreichen Kontrast zu den Diskussionsmodi der globalen Klimadebatte, die Afrika lediglich eine klischeehafte Zuschreibung als „Betroffene“ offeriert.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Engels sieht die Klimaschutzdebatte nicht einfach als Ausdruck eines „Öko-Imperialismus“; dafür sind die Befunde auch in der Tat zu vielschichtig und widersprüchlich. Die vermutlich überzogenen Abholzungsraten legitimieren zum einen die staatliche Kontrolle über die Waldressourcen – zementieren aber zugleich gängige Niedergangsszenarien. (S. 155) Es ist auch instruktiv, die Geschichte der Rio-Konferenz 1992 einmal aus der Sicht Afrikas präsentiert zu bekommen: Wer weiß schon, dass im Zuge des Aufstieg des Treibhauseffekts zum globalen Thema zugleich der Versuch afrikanischer Länder abgeblockt wurde, die Desertifikation zum globalen Problem zu erklären? (S. 121) Aber Engels achtet auch auf die Details und weist etwa nach, dass im senegalesischen Treibhausinventar die Emissionswerte höher veranschlagt werden als nach den IPCC-Richtlinien notwendig, während die Absorptionsfähigkeit kleingerechnet wurde. (S. 183f) Erich Honecker lässt grüßen: Bekanntlich hat die DDR ihre Schwefeldioxidemissionen zunächst übertrieben, um später eine größere Problemreduzierung reklamieren zu können (wobei das Kyoto-Protokoll den Vorzug hat, dass man solche Scheinerfolge nicht nur symbolpolitisch ausschlachten, sondern auch als Emissionszertifikate verkaufen kann). Ganz nebenbei liefert Engels auch eine hilfreiche Kurzeinführung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Senegal.

Engels bündelt ihre Arbeit zu einer Kritik an einer Umweltsoziologie, die „sich in eine Richtung weiter zu entwickeln droht, in der gerade die gesellschaftlichen Konflikte und Differenzen zugunsten der vereinheitlichenden Ökosystemrationalität aus dem Blickfeld geraten.“ (S. 16) Aber die Arbeit ist auch offen für eine andere Interpretation. Es ist erfrischend, wie Engels die gängigen Denkmuster der umweltpolitischen Debatte hinter sich lässt. So erklärt sie unumwunden, das Afrika südlich der Sahara eigentlich gute Gründe gehabt hätte, sich dem globalen Diskurs über den anthropogenen Klimwandel zu entziehen: Zum einen war die eigene Verursacherrolle marginal, zum anderen gab es auch nur geringe Möglichkeiten, Emissionen zu reduzieren. (S. 119) Auch die Schilderung der lokalen Konflikte lässt aufhorchen; denn es bedarf keiner großen Phantasie, um zu ahnen, dass sich solche Konflikte dann, wenn der Treibhauseffekt eines Tages von einem globalen ökologischen Interventionsstaat effektiv bekämpft werden wird, zu erheblichen Teilen auch gegen die globale „Ökopolizei“ richten werden. Und ist es wirklich sinnvoll, Senegal bei den nötigen Forschungen für ein Treibhausgas-Inventar zu helfen – der Anteil des Senegal an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt etwa 0,0004 Prozent (S. 184) –, während es zugleich mit Küstenerosion und Holzressourcenproblematik auch andere Forschungsprobleme von ungleich größerer lokaler Brisanz gibt? Das Buch ist auch ein willkommener Anlass zum Nachdenken für alle, die immer noch stereotyp glauben, „Kyoto“ sei der einzig denkbare Lösungsweg für „den Treibhauseffekt.“

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Published on
28.04.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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